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Martin Zähringer

Portrait des Kritikers Martin Zähringer
Photo credit Jan Michalko

»Zur Kür der Textkritik tritt die Pflicht der Kontextanalyse«

Martin Zähringer ist in Südbaden aufgewachsen, lebt seit den 1980er Jahren in Berlin und arbeitet im Hauptberuf als Literaturkritiker und Moderator, Übersetzer und Literaturjournalist, reisender Feature-Autor und Kurator. 2019 Gründung des CLIMATE CULTURES network berlin, das Akteure an der Schnittstelle von Klima, Krise und Kultur vernetzen will. Künstlerischer Leiter des Climate Fiction Festival Berlin 2020. Neuere Texte zu "Climate Writing": ↗www.climate-cultures-network.com. Das internationale Spektrum seiner Literaturkritik (Print) findet sich in ↗LAURIN, einer Artikelsammlung der Uni Innsbruck.

»Beschreiben statt erzählen
Hier liegt möglicherweise ein grundsätzliches Problem des literarischen Umgangs mit Faktenmaterial. So wie Nathaniel Rich in seinem Doku-Thriller die Tragweite individueller Entscheidungen und individueller Handlungsmacht überbewertet, situiert sich Jonathan Safran Foer in einer diffusen Holocaust - Analogie und riskiert damit seinen klimapolitischen Einsatz. Aber vielleicht ist er auch nur das Opfer seiner literarischen Grundtechnik geworden: Das ist der Modus des Erzählens an und für sich, der seine Autorität aus der Vergangenheit bezieht. Die Klimaliteratur der letzten Jahrzehnte jedoch war die längste Zeit an der Zukunft orientiert. Wobei der Zukunftsroman durchaus von einem gut erzählten Plot lebt, vor allem aber von Weltentwürfen und der Entfaltung möglicher Krisenszenarien. Heute sind die fiktiven Katastrophen teilweise schon Realität geworden, oder zumindest konkrete Bedrohung; man könnte die Tragödie fast aus der Wirklichkeit abschreiben.«

(Martin Zähringer, Harte Fakten gut erzählen in der Neuen Zürcher Zeitung vom 02.02.2020)

Martin Zähringer arbeitet als Literaturkritiker meist mit übersetzter Literatur aus verschiedenen Sprach- und Kulturbereichen. Das bedeutet: Zur Kür der Textkritik tritt die Pflicht der Kontextanalyse. Denn ohne eine gewisse Kenntnis der historischen, kulturellen, sozialen und politischen Hintergründe der Autor*innen und ihrer Werke kann man diese nicht verstehen. Mit dieser Haltung gegenüber den internationalen Lektüren ergibt sich eine systematisch erweiterte Perspektive, eine permanente Auseinandersetzung mit dem Welt-Wissen in der Literatur. Und so bleibt es nicht aus, dass globale Phänomene wie die Klimakrise in den Blick des Kritikers geraten, die Klimakrise als zentrale Herausforderung für eine engagierte Literatur unserer Zeit. Der Name dieser Literatur ist Climate Fiction.