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Essay

Vom Klimawandel Schreiben

von Maggie Gee

In der englischen Literatur – bei Shakespeare, William Blake, Virginia Woolf, E.J. Scovell und Maureen Duffy – finden sich beiläufige, doch äußerst detailgenaue Aufzeichnungen zur britischen Fauna und Flora und dem Übergang vom ländlichen zum städtischen Raum. Shakespeares Bildsprache ist so lebendig und vielfältig, weil er von einer Fülle von Landtieren, Vögeln und Pflanzen umgeben war. In der Stadt seiner Zeit lebten die Haus- und Nutztiere noch in unmittelbarer Nähe der Menschen, und Feld und Wald waren nicht weit. Die Stadt des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die größer, aufgeheizter und steriler ist, konnte er nicht vorausahnen. Er hat die wimmelnde Naturwelt seiner Epoche nicht bewusst dokumentiert. Und doch hilft sein Werk uns, zu begreifen, wie anders das England ist, in dem wir heute leben.

Ich habe Zeit meines Lebens über die bedrohte Natur geschrieben. Wahrscheinlich liegt das daran, dass ich auf dem Land aufgewachsen bin und meine Eltern kein Auto besaßen. Sie waren leidenschaftliche Wanderer und gingen mit uns Kindern zelten. Gegen Ende meiner Jugendjahre zog ich dann in die Stadt.

»Ich habe Zeit meines Lebens über die bedrohte Natur geschrieben.«

Als Erwachsene habe ich einmal anderthalb Jahre lang Tagebuch geführt und war selbst überrascht, wie viel Platz ich darauf verwende, das Naturleben in der Stadt festzuhalten – das Ergrünen der Bäume im Park, die Blumen in den winzigen Vorgärten meines Wohnviertels am Rand von London. Meine eigene Kindheit auf dem Land ist im Zentrum meiner Arbeit – der 'beharrliche Lichtstreif', von dem der Künstler Rabo Karabekian, eine Romanfigur Kurt Vonneguts, glaubt, dass ihn jedes Lebewesen im Herzen trägt.

Hundstage

Wie passt der Klimawandel hier hinein? Ich schreibe seit mehr als dreißig Jahren darüber. Erstmals kam er 1985 in meinem Roman "Light Years" vor, einer Liebesgeschichte, die sich vor dem Wechsel der Jahreszeiten abspielt. Das Buch besteht aus 12 Teilen und 52 Kapiteln, die den Monaten und Wochen des Jahres entsprechen. Das klingt nach etwas sehr Geordnetem, aber eigentlich beschreibt das Buch eine Welt, in der das Schöne bedroht ist und menschliches Handeln die Dinge bereits aus dem Lot bringt.

Als die warme Jahreszeit anbricht, fällt saurer Regen und in ganz Europa wird die Luft stark verschmutzt. Im August, dem heißesten Monat des Jahres, sind die Temperaturen extrem hoch, und damit wird zu einem Teil der Handlung übergeleitet, der auf einer schwefligen, glühenden Venus spielt. Der rote Planet dient als Metapher dafür, was aus der Erde werden könnte. Ich zitiere eine Passage, nur um zu zeigen, dass es in Brexit-Britannien noch ein paar Leute gibt, die wissen, dass wir in Europa leben.

»Hundstage. Es wird immer noch heißer. Nacht für Nacht ist der Himmel über Paris, London, Frankfurt dieses Jahr leicht orangefarben. Tausende Tonnen fossilisiertes Sonnenlicht werden verbrannt. Die Luft stockt vor Kohlendioxid, Schwefeldioxid, Stickstoff. Im August spalten riesige Blitze das Orange von oben nach unten. Die kleinen Menschenwesen beten um Regen. Wenn er fällt, ist es saurer Regen. Ein Drittel des deutschen Walds stirbt. Die Insekten haben jede Menge totes Holz zu durchbohren. In England bemerkt man nicht allzu viel. Die Heckenrosen welken in der Blütezeit, den Früchten der Rosskastanie wachsen kleine Hörner, Disteln werden zu fahlen Pelzpfropfen. Die Venus, der Planet, der der Erde am nächsten ist, war uns einmal viel ähnlicher. Es gab dort einmal Wasser. Jetzt sind wir ihr näher als uns lieb sein kann. Die gelben Wolken sind Schwefel. Darunter liegt Kohlendioxid. Die Oberfläche ist brennend heiß.«

Meine früheste Erinnerung, die Grundschicht, in die sich mein Leben von da an eingeschrieben hat, ist die an den langen, weißen, leuchtenden Strand, über den ich als Zweijährige dem riesigen Meer entgegenlief. Das war in Shell Bay, Dorset, Südengland. Aus irgendeinem Grund wurde ich mitten im Lauf von einer weißen, mehrfach gerippten Bohrmuschel aufgehalten, überwältigt vor Staunen. Ihr Zwilling, den ich vor Wochen in Kent aufgelesen habe, liegt jetzt auf meinem Schreibtisch, eine kleine, blasse Zeitreisende.

Sie ist mein Talisman beim Beenden der Arbeit an einem neuen Roman, der von Klimaflüchtlingen handelt und in der Zukunft spielt, zwanzig Jahre nach heute.

In der wirklichen Welt sind die Klimaflüchtlinge jetzt schon da – in Dover, Kingsdown, Hastings und Ramsgate. Halb ertrunken, auf der Flucht vor dem Krieg oder den Folgen der Erderwärmung, treffen sie in kleinen Booten in den Küstenstädtchen meiner Umgebung im südenglischen Kent ein.

Vier Romane über den Klimawandel

Vier meiner Romane drehen sich um den Klimawandel: "Where are the Snows" von 1990, "The Ice People" von 1998, "The Flood" von 2004 und "The Red Children", das im Januar 2022 erscheinen wird. Dabei habe ich nie gedacht: "Ich sollte jetzt unbedingt über den Klimawandel schreiben." Schriftsteller und Dichter wollen in der Regel keine Pflichtaufgaben erfüllen, sondern in ihrer Arbeit frei sein. Das Schreiben hat seinen tiefen Ursprung nicht in dem sorgfältig ausstaffierten Selbst, das moralisch Position bezieht. Es entspringt dem wilden Selbst, das sich erinnert, dem kindlichen Selbst, das Liebe und Angst erfährt.

Ende der 1980er Jahre habe ich zum ersten Mal mit allen Fasern gespürt, dass der Klimawandel wirklich stattfindet. Das hat mit meinem Garten zu tun. Jedes Jahr blühte dort in den allerersten Frühlingstagen meine japanische Zierquitte am Froschteich. Erst sah man kleine rote Bällchen an den schwarzen Zweigen, dann runde Blüten von vollkommener Einfachheit mit geschwungenen Kronblättern und gelben Staubblättern. Irgendwann in den 1990ern blühte der Strauch vorzeitig, nicht im Frühling, sondern schon im Dezember des alten Jahres. Dann passierte das wieder. Und so wie ich merkten unzählige ganz normale Hobbygärtner, dass die Jahreszeiten sich ändern.

Mit dreizehn oder vierzehn Jahren habe ich auf einem Wanderurlaub den Rhonegletscher bei dem Ort Gletsch im Schweizer Kanton Wallis gesehen. Der Eindruck war überwältigend. Ich konnte nur auf den äußersten Ausläufern herumklettern. Die Spalten, die in blendend weiße Weiten hinaufführten, leuchteten in einem staubigen, hellen Türkisblau. Heute, fünf Jahrzehnte später, ist die Gletscherzunge so stark geschrumpft, dass sie kilometerweit entfernt von dem Ort Gletsch liegt, den sie einst beherrschte.

»In der heutigen Wirklichkeit frönen wir dem Wohlstand und dem Konsum noch viel exzessiver«

Meine Tochter Rosa, die 1986 geboren wurde, war ein echter Großstadtracker und spielte am liebsten in Schnee und Matsch. Sie war noch sehr klein, als ich begriff, dass sie die vielgestaltige Welt, die ich als Kind so geliebt hatte, mit Eis, Sonne, Wäldern und Flüssen, wohl nicht unbeschwert genießen können wird, wenn sie ins Erwachsenenalter kommt. Die Liebe und die Angst, die ich brauchte, um über den Klimawandel zu schreiben, habe ich durch sie gefunden.

In meinem Roman "Where Are The Snows" (1991) verbinden sich die kapitalistischen Exzesse der 1980er mit einer Erderwärmung, die sich in ein imaginiertes einundzwanzigstes Jahrhundert hinein erstreckt. In der heutigen Wirklichkeit frönen wir dem Wohlstand und dem Konsum noch viel exzessiver, und durch die Coronakrise wird das nur sehr flüchtig abgeschwächt.

Der Roman "The Flood" (2004) ist teils durch die Überschwemmungen inspiriert, die 2002 und 2003 in weiten Teilen Europas stattfanden, und teils durch die Vorbereitung des widerrechtlichen Kriegs gegen Irak. Auch dieses Buch blickt voraus auf die Folgen der globalen Erwärmung und die Lähmung und Trägheit der Menschen, die damit konfrontiert sind.

Als in der fiktiven Welt meines Romans die Gegend rund um die Londoner Oper überschwemmt wird, organisiert man einfach Gondeln, damit die Reichen nicht auf ihr Vergnügen verzichten müssen. Die eigentlich Leidtragenden sind die Armen, die in ihren Wohnsilos von der Außenwelt abgeschnitten sind – bis am Ende des Romans schließlich alle, ob reich oder arm, die Folgen zu spüren bekommen.

"The Ice People" (1998) erzählt davon, wie sich die Erde in den ersten Jahrzehnten des einundzwanzigsten Jahrhunderts – die in dem Buch "Tropenzeit" heißen – rasant erwärmt. Dann kehrt sich diese Entwicklung wider Erwarten abrupt um und eine neue Eiszeit bricht an. Ein solches Szenario wird sich leider in absehbarer Zeit kaum ereignen, auch wenn es eine wissenschaftliche Grunderkenntnis ist, dass sich das Klima auf lange Sicht immer zwischen Hitze- und Kälteextremen bewegt hat und bewegen wird.

»Ich versuche, mich auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu halten«

Die Anregung zu diesem Roman gab die Studie "Abrupt end of the last interglacial s.s. in north-east France" ("Das plötzliche Ende der letzten Warmzeit in Nordostfrankreich") von 1979. Darin weist die Biologin Geneviève Woillard anhand eines Pollenprofils nach, wie im Pleistozän Bäume gemäßigter Klimazonen sehr rasch, innerhalb von ein paar Jahrzehnten, durch Bäume kälterer Klimazonen verdrängt wurden, Fichten, Kiefern und Birken.

"Ist das wahr?, habe ich gedacht. Ja, es ist wahr. Das alte Modell des allmählichen, stetig voranschreitenden Klimawandels ist durch ein neues abgelöst worden, nach dem die Umschwünge viel plötzlicher und weniger unberechenbarer sind.

Im Zeitalter des schrumpfenden Wohlfahrtsstaats ist es unwahrscheinlich, dass die Demokratie einem katastrophal raschen Klimawandel standhalten kann. Ich versuche, mich auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zu halten und abonniere die britische Wochenzeitschrift "New Scientist". Die Kunst lebt vom Gedächtnis und den Gefühlen der Einzelnen. Die Wissenschaft hingegen erschließt längere Gedächtnisspannen. Sie kann geologische Schichten, Eisbohrkerne und fossile Pollen untersuchen.

Uns selbst verwandeln

Ich war schon immer daran interessiert, nicht nur meine eigene, individuelle Geschichte zu erzählen, sondern auch die meiner Spezies. In meinen späteren Büchern habe ich mich einer etwas abgeklärteren Sicht zugewandt, die die Welt als Komödie begreift, so wie es auch Shakespeare und viele andere Künstler im Alter getan haben. Vermutlich schütze ich mich so davor, in meiner künstlerischen Arbeit in Heulen und Zähneklappern zu verfallen. Außerdem scheint mir, dass ich meine Leserschaft vielleicht aufheitern und trösten sollte.

"The Red Children", der aktuelle Klimawandel-Roman, den ich gerade beendet habe, ist ein Märchen über Migration und eine Satire. Er legt auch nahe, dass wir immer noch zu einem Happy End finden können – aber nur, wenn wir begreifen, dass wir mehr sein müssen als bloß Menschen. Wir müssen anerkennen, dass wir 95% unserer DNA mit anderen Tierarten teilen und verstehen, dass wir alle aufeinander angewiesen sind. Nicht nur um der Dichtung willen, nicht nur um der Schönheit willen und auch nicht nur um der geistigen und körperlichen Gesundheit und des Glücks unserer Kinder willen, sondern damit das kohlenstoffbasierte Leben überhaupt erhalten bleibt.

»Ich war schon immer daran interessiert, nicht nur meine eigene, individuelle Geschichte zu erzählen, sondern auch die meiner Spezies.«

Dass Menschen Kunst erschaffen, hat mit einem allgemeineren menschlichen Wesensmerkmal zu tun, dem Verwandlungsdrang. Fischfang, Acker- und Bergbau, die Errichtung von Gebäuden, das Feuer: Von der neolithischen Revolution an haben wir den Planeten verwandelt.

Heute gibt es Megacities, industrialisierte Landwirtschaft, die globalen Energieunternehmen, die Suchmaschinen und die digitale Speicherung mit ihren ungeheuren Auswirkungen: Unsere Sucht nach digitalen Aktivitäten wird in den kommenden fünf Jahren sehr wahrscheinlich zu einem größeren Faktor der globalen Erwärmung werden als der Luftverkehr. Zu den schlimmsten Sündern gehören dabei die Autoren, Akademiker und Wissenschaftler – wir alle, die wir Gefangene der digitalen Suche sind. Und mit welcher Unschuld und Wonne haben wir uns in das Wissen verliebt!

Meine Romane inszenieren die unbeabsichtigten Folgen menschlichen Handelns, und das Komödiantische darin dreht sich vor allem um Menschen, die nicht begreifen, was sie tun und nie über den eigenen Gartenzaun hinausblicken. Nur ist der Klimawandel inzwischen nicht mehr hinter dem Gartenzaun. Er ist direkt vor meinem Fenster, presst sein hitziges Gesicht gegen die Scheibe und flüstert: "Denk an mich, denk an mich!" Wir haben die Welt verwandelt. Können wir uns selbst verwandeln?

Literaturhinweise:
Kurt Vonnegut: Breakfast of Champions – Frühstück für Helden. München 1999 (Goldmann), übersetzt von Kurt Heinrich Hansen Geneviève Woillard, 1979, Nature 281, S. 558-562
Übersetzung: Anselm Bühling